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Leute, ich fühle mich leicht

cbj
Erschienen am 22.09.2008
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783570160039
Sprache: Deutsch
Umfang: 267 S.
Format (T/L/B): 2.6 x 21.9 x 14.4 cm
Lesealter: 12-99 J.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Sie will viel - und wird immer weniger Im Haupt-Fokus der mütterlichen Sorge steht dabei Lelle selbst. Denn Lelle ist das Mädchen, das nichts mehr isst. Seit einem Jahr schon hungert sie, wird dünner und immer dünner - und fühlt sich dabei wie auf einem anderen Stern. Denn niemand in ihrer Bekanntschaft kann wirklich verstehen, warum sie das tut. Dass es ihr ein Gefühl der Unabhängigkeit gibt, der Macht, der Kontrolle. Richtig hungern, meint Lelle, kann nur ein Genie. Bis Genie Lelle eines Tages zusammenklappt und in einer Psychoklinik wieder aufwacht. Und, hey, Leute, das hätte wirklich nicht sein müssen-...

Leseprobe

Draußen scheint die Sonne, die Vögel zwitschern in den blätterbepackten Bäumen, und vor meinem gekippten Fenster springen die kleinen Nachbarsmädchen Springseil, als ginge es um ihr Leben. Ich liege in meinem Zimmer auf dem Bett und stelle mir vor, ich sei vom ersten Halswirbel an abwärts gelähmt. So etwas kann passieren, wenn man unglücklich stürzt. Über so einen Fall habe ich neulich einen Bericht im Fernsehen gesehen. Danach war nichts mehr so, wie es mal war. Plötzlich kam mir mein Leben so kostbar vor. Wenn man sich nicht mehr bewegen kann, besteht man nämlich streng genommen nur noch aus Gehirn, nutzlosen Knochen und schlaffem Gewebe drum herum. Ich habe ziemliche Panik davor, dass mich so ein Schicksal ereilen könnte. Darum versuche ich, mich jetzt schon seelisch darauf vorzubereiten, indem ich mich nach der Schule auf mein Bett lege und mich nicht mehr rühre. Dann glotze ich stumpfsinnig vor mich hin und weiß bereits nach zwei Minuten nicht mehr, worüber ich nachdenken soll. Nur lauter belastendes Material fällt mir ein, das ich am liebsten sofort wieder in mein Unterbewusstsein zurückdrängen würde. Zum Beispiel, dass mein Freund Arthur in Afrika ist und ich nicht weiß, ob er jemals wiederkommt. Oder dass Mama recht haben könnte und ich tatsächlich bald an Unterernährung sterbe, wenn ich nicht endlich wieder anfange, normal zu essen. Ich höre mein Blut in den Ohren rauschen und wie Mama aus dem Büro nach Hause kommt. Sie hängt ihren Mantel auf den Bügel in der Garderobe, zieht die Straßenschuhe aus, die Hausschuhe an und im nächsten Moment steht sie auch schon in meinem Zimmer und betrachtet mich voller Sorge. So als hätte ihr der Oberarzt wirklich gerade gesteckt, dass ich gelähmt bin. "Geht es dir nicht gut?" Das fragt sie mich jeden Tag. Also sage ich wie jeden Tag: "Alles bestens." Anschließend lächle ich ihr so ein bisschen aufmunternd zu. Nicht dass sie wieder mit ihrem elektronischen Blutdruckmessgerät angerannt kommt, um zu prüfen, ob ich noch "Puls" habe. So wie letzte Woche. Plötzlich meinte sie: "Jetzt reicht's! Du siehst aus, als würdest du gleich tot umkippen!" Und schon ist sie aus dem Zimmer geflitzt und kam mit diesem hellblauen Plastikdings wieder. Zack, hat sie mir die Manschette um den Arm geprokelt und tüchtig aufgepumpt. Ich dachte, mein Arm stirbt gleich ab. Zu allem Überfluss war mein Blutdruck tatsächlich so niedrig, dass Mama mit todernstem Unterton in der Stimme meinte: "Wahrscheinlich hast du eine Herzbeutelentzündung." Das ist ihre große Angst. Die ist so groß, dass sie sich darin wohnlich einrichten könnte. Mit Sofa und Beistelltisch. Und weil Mama keine Ruhe gegeben hat und eigentlich schon wieder so weit war, den Bestatter samt Sarg zu bestellen, bin ich rüber zu unserem Hausarzt Herrn Doktor Schaffrat. Normalerweise wanken zu dem nur die alten Leute mit ihren Gehwagen hin, aber was hätte ich machen sollen? Mich gleich in die Rehaklinik einweisen lassen? Das wäre Mama natürlich das Liebste, damit sich endlich rund um die Uhr Profis um mich kümmern und mich zur Nahrungsaufnahme zwingen. Ohne mich! Mir nimmt niemand mein Hungern weg. Das ist meins! Also saß ich geschlagene drei Stunden mit diesen seufzenden Menschen in diesem deprimierenden Wartezimmer herum und habe mir nacheinander die Schmierblätter reingepfiffen, die da in dem Ständer rumflädderten. Jetzt weiß ich alles über die spanischen und dänischen Königshäuser. Ich kann nur sagen: Gut, dass ich keine Prinzessin bin. In diesen Familien geht es drunter und drüber. Ständig benimmt sich einer von denen daneben oder ein Kind wird geboren. Für mich ist das nichts. Ich meine, ich habe nichts gegen Kinder. Im Gegenteil. Aber meinen Ruhm will ich mir selbst erarbeiten. Als Bildhauerin oder so. Der einzige Vorteil, den man als Prinzessin hat, besteht darin, dass man einen Leibarzt hat. Den hätte ich auch gerne gehabt, als ich dann endlich in Unterwäsche vor unserem Doktor Schaffrat stand und er fachmännisch die Diagnose stellte, dass i Leseprobe